Montag, 10. Februar 2014

Höger ropp, Johann




Es war die Zeit, als Lena noch ritt und wir mindestens zweimal  in der Woche Hannas Stute Windora vom Hof Holthusen in Baljerdorf zur Reithalle nach Freiburg fahren mussten. Windora war damals eine junge Hannoveraner Stute, die sich gut reiten ließ, gut aussah und auch ganz gute Lernfortschritte unter Hanna und Lena machte. Nur auf den Hänger mochte sie nicht gerne. Da änderte sich auch nichts dran, wenn Opa Holthusen, Hannas Vater Klaus, Babs oder Willi Koppelmann halfen. Lena und ich brauchten bis zu 5 Versuchen oder mehr.
An einem Montag war es wieder so weit. Die Reitstunde war vorüber und Windora war so weit fertig für die Verladung. Sie ging noch mit den Vorderhufen auf die Hängerklappe um sie dann jedoch knapp am Hänger vorbei wieder zu verlassen. Heinrich Heinsohn, Pferdezüchter vom Hof Feldmark in Freiburg, kam dazu und erfasste sofort die Situation. Er nahm Lena die Zügel aus der Hand, marschierte zielstrebig auf die Hängerklappe. Gerade wollte das Pferd sich steif machen und den Verladevorgang abbrechen als Heinrich Heinsohn seine Bemühungen lautstark mit dem Satz „Höger ropp, Johann“, was auf Hochdeutsch nichts anderes als „höher rauf, Johann“, bedeutet, untermalte. Was immer es gewesen sein mag, Windora ließ sich widerstandslos bis vorne in den Pferdehänger ziehen.
Heinrich Heinsohn hatte eben ein Händchen für Pferde, wie kaum ein anderer.
Während Lena sich um das Pferd kümmerte, ging ich zu Heinsohn, um mich zu bedanken.
„Ja, manchmal sind sie ´n büschen zickig“, meinte er zu mir.
„Manchmal? Windora macht fast jedes Mal Zicken. Warum haben Sie Johann zur Stute gesagt?“
„Ach, das sagt man doch hier so, also, wenn etwas eben rauf soll. So´n beeten Platt schnackt Se doch ook, Schoolmeester?!“
„Klingt aber doch ein bisschen merkwürdig, oder?“
„Ich kenn das schon so lange, wie ich denken kann. Sie interessieren sich ja auch für Geschichte. Soll ja noch aus der Zeit stammen, als da unten bei Horwege der Galgenberg war. Und bei der letzten Hinrichtung da hatten sie einen Henker mit Namen Johann, der sich etwas ungeschickt anstellte. Die Hinrichtung wollte nicht so recht klappen. Der Übeltäter mit der Schlinge um den Hals konnte den Dilettantismus nicht länger ertragen und soll dem Henker den Tipp: „Höger ropp, Johann!“ gegeben haben. Na ja, dann hat es wohl geklappt.“

Öffentliche Hinrichtungen gab es dann nicht mehr und auch der Galgenberg – vielleicht eine kleine Erhebung, auf der der Galgen stand, ist verschwunden. Ja, sogar Heinrich Heinsohn, dem ich diese schöne Anekdote verdanke, ist nicht mehr am Leben.
Geblieben ist der letzte Satz des letzten in Freiburg zum Galgentod Verurteilten. Manchmal benutze ich ihn im Selbstgespräch beim Arbeiten. Dann denke ich an Heinrich Heinsohn, den kleinen, abgearbeiteten voller Lebensweisheit steckenden Pferdezüchter vom Hof Feldmark. Niemand mehr benutzt den Spruch an den Henker, wenn etwas ein wenig „höher rauf“ soll. Ich muss mein Wissen zu Papier bringen, sonst stirbt es mit mir.
„Höger ropp, Johann!“ Danke, Heinrich Heinsohn, für die kleine Geschichtsstunde.

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