Freitag, 29. Dezember 2017

Weihnachten oder "Das Ding mit der Tradition"




Kaum ein Fest ist so von Tradition bestimmt, wie das Weihnachtsfest. Fast alle Familien stellen einen Weihnachtsbaum auf, immer weniger aber immer noch viel mehr als sonst im Jahr besuchen die Kirche und, sehr zur Freude des Einzelhandels, gehören jede Menge Süßigkeiten, Geschenke und, man staune, auch immer noch tausende fettiger Karpfen zum Fest. Zu alledem haben sich millionenfach individuelle, familiäre Rituale gebildet, die für die, die sie praktizieren, nicht vom Weihnachtsfest zu trennen sind. Dazu gehören der traditionelle  Weihnachtsbaumschmuck, genau festgelegter Festablauf, Weihnachtsmannbesuch, Traditionsgerichte,  der Omabesuch, Hemd und/oder Socken für den Ehemann  oder ein obligatorischer Spaziergang am 1. Weihnachtstag und Vieles mehr.
Im Großen und Ganzen sieht es bei uns eigentlich auch nicht anders aus.
Eigentlich.
Und doch verläuft unser Weihnachtsfest ganz anders als noch vor wenigen Jahren. Stück für Stück sind Traditionen weggebrochen, Familienrituale haben ihre Bedeutung verloren und wurden letztlich aufgegeben.
Es begann schon vor sehr langer Zeit, dass wir die Weihnachtsgottesdienste nicht mehr besuchten, weil sie uns mehr belasteten als Freude zu bereiten. Später wurden die Geschenke reduziert, übriggeblieben ist bis heute die Abmachung, sich nur ein Buch zu schenken. Meistens halten wir uns daran. Unglaublich, welche Stressentlastung sich dadurch in der Vorweihnachtszeit ergeben hat. Wir schreiben keine Weihnachtspost werden aber trotzdem noch von vielen Menschen hartnäckig mit Weihnachts- und Neujahrswünschen bedacht. Das ist auch nett so und per Telefon oder Mail reagieren wir auf die Post. Nur schreiben wollen und können wir nicht. Weihnachtlicher Schmuck im Haus ist auf ein überschaubares Maß zusammengeschrumpft, der Adventskranz besteht aus Tuja hat aber immerhin noch vier Kerzen.
Da fällt mir gerade ein, dass es in diesem Jahr im ganzen Haus nicht einen Weihnachtsstern gibt. Dafür aber einen prächtigen Strauß großköpfiger, rotgelber Tulpen. Das hat es bei uns auch noch nie zum Weihnachtsfest gegeben. Immerhin hat sich die Tradition mit den großen Amaryllis Blüten  gehalten.
Es werden auch keine Plätzchen mehr bei uns gebacken. Wer soll sie essen? Wir beiden haben genug mit den Plätzchen, die uns von all den Plätzchenbäckern zugeschoben werden, die selbst nicht wissen, wie sie mit dem Produkt ihres vorweihnachtlichen Backaktionismus  fertig werden sollen. Außer dem köstlichen Duft aus dem Backofen vermissen wir nichts.
Ja, was bleibt dann noch?
Der Tannenbaum, ein festliches Essen und das behagliche Beisammensein mit der Familie.
Für Essen ist gesorgt. Die letzten Steaks aus unserem Galloway Abo von Jens Mahler aus Hüll werden wir uns gegen Abend mit leckerem Salat bereiten. Schön unkompliziert und wir wissen, dass es uns köstlich schmecken wird.
Beisammensein mit der Familie?
Da ist nichts außer Ulla und mir. Unsere Lena  steht kurz vor der Entbindung unseres ersten Enkelkindes und möchte sich nicht zwei Mal kurz hintereinander der weiten und in ihrem Zustand beschwerlichen Zugreise von Berlin hierher aussetzen. Wir hatten sie am 3. Advent in Oldenburg am Bahnhof abgeholt und sind dann gemeinsam zur Oma weitergefahren. Dort haben wir mit unserem Traditionsweihnachtsessen,  Rindsrouladen mit Rotkohl (alles schon in Freiburg vorgekocht), Weihnachten gefeiert. Mit ihren über 90 Jahren hätte die Oma nichts davon gehabt, wenn ihre ganze Familie an den Weihnachtstagen über sie hergefallen wäre. Nach einem Masterplan ihrer Kinder wurden die Weihnachtsbesuche also vom 3. Advent bis zum 2. Weihnachtstag gestreckt.
Und alle unsere zahlreichen Geschwister?
Sie feiern mit Kindern und Enkelkindern in ihren Familien. Das behagliche Beisammensein mit der Familie reduziert sich also in diesem Jahr am Weihnachtsabend auf Ulla und mich.  Das ist nichts Neues, das haben wir sonst auch das ganze Jahr, wenn nicht gerade einer einen Abendtermin hat.

90% aller deutschen Familien feiern Weihnachten mit einem Weihnachtsbaum. Wir gehörten auch sehr, sehr lange zu den 90%. Bis zu jenem Jahr, als ich unseren Weihnachtsbaum verschenkt hatte, weil ich meinte herausgehört zu haben, dass Ulla keinen Baum mehr wolle. Das stellte sich dann ja als Irrtum heraus und wir fanden in letzter Minute noch eine Lösung mit dem Leihbaum von unseren verreisten Nachbarn.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Also schön ist der Gedanke an ein Weihnachtsfest ohne Baum nicht. Und so eine Gelegenheit wie mit dem Leihbaum hat man nur einmal. Wir haben jedenfalls zu Weihnachten nie mehr einen Schlüssel zu den Häusern unserer Nachbarn bekommen. Im vergangenen Jahr gab es wieder einen Tannenbaum, wie wir ihn sonst auch immer hatten: Duftende Fichte vom Fußboden bis zur Decke und geschmückt mit unserem traditionellen Tannenbaumschmuck.
Aber dieses Jahr? Wie sollen wir es in diesem Jahr halten? Wir sind erstmalig nur zu zweit und wir sind uns ziemlich schnell einig gewesen, dass wir in diesem Jahr wirklich mal auf einen Baum verzichten könnten.
Wenn das denn immer so leicht wäre.
Auf Traditionen verzichten geht nicht ohne Emotionen ab.
Ich habe die emotionale Dimension unserer Entscheidung unterschätzt. Tannenbäume wohin man sieht: Von Familienvätern unterm Arm geklemmt, auf Autodächern transportiert und bei Hans Jürgen an den Verkaufsgestellen.
Sabine schneit  kurz rein und bringt uns ein kleines Fichtenbäumchen im Topf, nicht größer als 30 cm.
„Habe gedacht, so ganz ohne Baum sollt ihr nun doch nicht sein.“
Wie lieb von ihr. Ja, den Topf können wir gut ins Weihnachtszimmer stellen.



 Sabines Bäumchen: Klein aber Fichte!!!

 
Am Freitag, zwei Tage vor Heiligabend fahre ich zu Hans Jürgen, nur mal so. Mal sehen, wie es so läuft bei ihm.
„Na, immer noch keinen Weihnachtsbaum? Wieder einen beim Nachbarn ausleihen?“
Hans Jürgen kennt natürlich die Geschichte mit dem verschenkten Tannenbaum.
„Nöö“, sage ich, „das klappt auch nur einmal. Kriegen ja auch keinen Schlüssel mehr zu Weihnachten.“
„Also wirklich keinen Baum dieses Jahr?“
„Sind ja nur zu zweit.
 Wenn du so einen kleinen hättest. Vielleicht könnte ich dann …“
„Klein machen kann ich sie alle. Such´ dir mal einen aus, ich hol´ schon mal die Säge.“
Ja, so verkauft man Weihnachtsbäume.
Ich fand einen Baum mit ansprechendem Oberteil. Hans Jürgen trennt den unteren Ast Kranz ab.
„Mehr?“
„Ja, noch einen.“
Bis es dann ein kleiner Baum war, musste noch ein weiterer Kranz dran glauben. Eingenetzt passte der Baum gerade ins Auto.

Nein, in diesem Jahr wollen wir ja keinen Baum. Nun ist da aber einer und Ulla muss das ja nicht unbedingt wissen. Genügt ja, wenn sie ihn Weihnachten sieht. Ich muss nur den Baum irgendwo verstecken und das gelingt im Kellerniedergang. Den benutzt Ulla nämlich  im Winter nie.
So weit hat alles ganz gut geklappt. Kann mir ja immer noch überlegen, ob ich ihn wirklich aufstelle. Kann ihn ja noch heimlich hinterm Schuppen entsorgen. Wäre nur schade um die 25 Euro. Und wenn Ulla dann am Heiligabend bedauern würde, dass wir uns nun doch gegen einen Baum entschieden haben, könnte ich auftrumpfen und sagen: „Ich hab´ da noch einen Baum hinterm Schuppen. Soll ich ihn hereinholen?“

Nein, erst einmal Plan A: Baum heimlich ins Haus holen, in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag unbemerkt im Weihnachtszimmer aufstellen, schmücken, Fakten schaffen!
Während Ulla am Sonnabendnachmittag mit dem Kochen von Feigenmarmelade beschäftigt ist, kann der Tannenbaum unbemerkt vom Kellereingang in meine Kellerwerkstatt gelangen. Vorsichtshalber schließe ich die Werkstatt ab. Manchmal holt sie sich von dort einen Besen. Man kann ja nie wissen.
Und wenn sie fragt, warum die Werkstatt abgeschlossen ist, sage ich ihr einfach: „Vor Weihnachten muss man nicht alles wissen!“
Damit wird sie sich zufriedengeben. Könnte ja sein, dass ich ihr mal nach langer Zeit wieder etwas zu Weihnachten bastele.
Ulla räumt im Obergeschoss Wäsche ein. Ein idealer Zeitpunkt um den Baum zu vermessen. Er ist immer noch kein kleiner Baum und ich säge einen weiteren Ast Kranz ab. Ein neues Problem taucht auf: Ich habe keinen Tannenbaumfuß für so einen kleinen und dünnen Baum.
Noch kann ich den Baum hinter den Schuppen legen und so tun, als sei in diesem Jahr nie ein Baum im Haus gewesen.
Dann fällt mir ein, dass gerade vor wenigen Tagen in einer Quizz Sendung davon gesprochen wurde, dass in einigen Gegenden Deutschlands noch bis weit ins letzte Jahrhundert die Tannenbäume  an der Decke aufgehängt wurden – teilweise, besonders im Osten, sogar kopfüber.
Das muss es ja nun nicht gerade sein. Nur hängen genügt schon.
Ich muss grinsen beim Gedanken, dass Ulla am Weihnachtsmorgen in die Stube kommt und dann hängt da ein Tannenbaum kopfüber, also mit der Spitze nach unten.
Nein, ich muss es nun wirklich nicht mit den Überraschungen übertreiben.
Die Zeit reicht noch, um einen starken von grünem Kunststoff ummantelten Draht mit einer Öse zu versehen und am Baum zu befestigen. Einen Haken gibt es schon in der Decke über unserem traditionellen Weihnachtsbaumplatz.
Es ist alles bereit für die nächtliche Geheimaktion. Ich muss nur noch sehen, dass ich Ulla überrede nicht zu spät ins Bett zu gehen. Dass ich noch etwas länger aufbleiben will, wird sie nicht wundern. Das passiert öfter.
Wir gucken uns eine Ratesendung an und ich bin mir sicher, dass ich ab 22 Uhr das Erdgeschoss für mich habe.
„Hast du schon gesehen, da kommt ein ganz lustiger Spielfilm um zehn im 3. Programm. Den können wir uns ja noch ansehen.“
„Ja, ist gut“, sage ich und dachte, dass ich dabei vielleicht einige Minuten vorschlafen kann, um fit für Teil 2 von Plan A zu sein.

Mitternacht hatte ich dann freie Bahn.
„Hast du an eine Flasche Wasser gedacht?“
Nicht, dass sie noch einmal herunterkommt, wenn ich hier den Weihnachtsmann mache.
„Ist alles oben. Gute Nacht!“

Nach einigen Minuten höre ich die Türen von Bad und Schlafstube klappen. Es wird still im Haus. Ich schleiche mich in den Keller, besorge mir Trittleiter und den Karton mit dem Weihnachtsbaumschmuck. Dann noch ein Gang und auch der eingenetzte Baum ist im Weihnachtszimmer. Ich hänge die Öse über den Haken, trete zwei Schritte zurück und sehe, wie unser Weihnachtsbaum langsam auspendelt.


                  Noch im Netz, aber er hängt schon!                

So, wie das aussieht, geht es gar nicht! Der Tannenbaum beginnt 70 cm über dem Teppich. Das sieht nur geringfügig weniger befremdlich aus als würde der Baum kopfüber hängen.
Was tun? Ich schiebe den runden Stubentisch unter den Baum. Das sieht gut aus. Nun schwebt der Baum nur noch 20 cm über der Tischplatte. Mit dem Teppichmesser trenne ich das Nylonnetz auf und der Baum entfaltet sich.

So klein wirkt der Baum gar nicht mehr, wenn er 70 cm über dem Teppich beginnt und dann bis an die Decke reicht.
1 Uhr morgens beschließe ich, dass unser Weihnachtsbaum 2017 gut genug geschmückt ist. Zufrieden lösche ich die Lichter und lege mich schlafen.

24. Dezember. Ich wache auf und blicke auf die Uhr. 7.30 Uhr, das Haus ist still. So ist es häufig bei uns: Ich gehe als Letzter ins Bett und bin der Erste, der wieder wach ist. An Weiterschlafen ist nicht zu denken. Also gehe ich leise nach unten, koche mir den ersten Kaffee und begebe mich mit der Weihnachtsausgabe des Tageblattes auf das Sofa im Wohn- und Weihnachtszimmer.
Schon ganz schön cool wie unser Weihnachtsbaum im leichten Luftzug ganz langsam hin und her schwingt. Ich bin gespannt, wie Ulla die plötzliche Veränderung in unserem Wohnzimmer aufnehmen wird: Top oder Flopp?

Es regt sich etwas im Haus, ich höre die Treppe. Im nächsten Moment betritt Ulla das Wohnzimmer. Die geöffnete Tür verdeckt den Weihnachtsbaum, ihr Blick richtet sich weg vom Baum zum Sofa.
„Oh, gibt es schon Kaffee?“
„Ja, in der Küche.“
Sie dreht sich um und ich genieße den Moment der Überraschung.
„Nein, wo kommt der denn her?“






 "Wo kommt der denn her?"


Sie macht einen Schritt auf den Baum zu und setzt sich auf die Sessellehne.
„Was ist? Ist dir nicht gut?“
„Ich dachte gerade, dass mir wieder schwindelig wird. Der Baum schien zu schwanken. Tut er immer noch.“

Nun kann es weitergehen mit den Resten unserer Weihnachtstradition. Der Tannenbaum ist nicht nur akzeptiert, er ist ausdrücklich willkommen. Und dass er hängt, statt zu stehen ist auch in Ordnung. Am Nachmittag sitzen wir beide wie alle Jahre zuvor am Kaffeetisch im Weihnachtszimmer. Wir trinken und essen von dem „guten“ Geschirr, gucken auf den Tannenbaum mit seinen brennenden Kerzen und essen Klöben von meiner Schwester Ute gebacken nach dem Rezept unserer Mutter. Da sag noch einer, es gäbe in unserem Hause keine Traditionen. Es gibt sie schon noch, auch wenn sie ständigen Veränderungen unterworfen sind. Wer weiß, vielleicht steht der Baum 2018 wieder statt zu hängen, vielleicht ist es wieder eine duftende Fichte statt der Nordmanntanne und das Alleinsein hat sich dann auch erübrigt wenn im nächsten Jahr vielleicht die junge Familie mit unserer Enkeltochter dabei ist.





Donnerstag, 21. Dezember 2017

E-Bay Geschäfte mit "Schnäppchenseller"



Was für ein Morgen! Die Sonne schien bereits ins Schlafzimmer und beim langsamen Aufwachen nahm  ich den morgendlichen Chor der Vögel wahr, als würden die Singvögel direkt von meiner Bettkante aus singen. Ich stand auf, rieb mir die Augen und marschierte zum Briefkasten, um die Zeitung zu holen. Es war schon so warm, dass man fast die Zeitung auf der Terrasse lesen könnte.
Oh, wir hatten vergessen, das Auto in den Carport zu fahren. Nicht
so schlimm. Ich griff mir die Zeitung und hatte das Gefühl, dass irgendetwas anders war als sonst. Nicht das Wetter und auch nicht, dass das Auto draußen stand. Ist ja auch egal, dachte ich, setzte den Morgenkaffee an und begann die Zeitung zu lesen, während der Kaffee durchlief.
Nach dem Frühstück brachte ich den Müll vor die Tür. Ich hatte das Auto im Blick. Es war ausnahmsweise einmal schön sauber und glänzte in der Morgensonne. Irgendwie war es anders als sonst. Bereits im Hausflur kehrte ich um, blickte auf den noch ziemlich neuen Peugeot und dann hatte ich es:
Dem Auto fehlten die Radkappen!
Ich eilte auf die andere Seite und auch hier gab es keine Radkappen mehr.
Ulla war gestern in Hamburg und das Auto stand den ganzen Tag auf dem Parkplatz am Bahnhof in Hemmoor. Es lag auf der Hand, dass die Radkappen sich nicht zufällig alle am gleichen Tag während der Fahrt von den Rädern gelöst hatten.
Zurück am Frühstückstisch traf ich Ulla beim Lesen des Tageblattes an.
„Wo hast du die Radkappen von unserem Auto gelassen?“
„Wie? Radkappen? Ich habe nichts mit den Radkappen gemacht.“
„Das Auto hat jedenfalls keine Radkappen mehr und du warst gestern damit in Hemmoor.“
Ulla ging raus um zu kontrollieren, ob ich sie vielleicht auf den Arm nehmen wollte.
„Hast Recht, die Radkappen sind weg.“
„Ja, sagte ich doch!“
„Bei dir weiß man ja nie. Und nun?“
„Sind wohl am Bahnhof verschwunden. Wir müssen eine Anzeige bei der Polizei machen.“

Heinz Hagedorn nahm die Anzeige auf. Viel Hoffnung machte er mir nicht. Ich suchte dann meine Werkstatt auf und wollte vier neue Radkappen bestellen.

„Kein Problem!“ meinte Christian, „sind morgen da.“
„Und was sollen sie kosten?“
Der Preis für etwas gepressten Kunststoff erschien mir entschieden zu hoch und ich machte meine Bestellung rückgängig.
Das Internet sollte mir helfen, günstig an gebrauchte Radkappen zu kommen.
So einfach war es dann doch nicht, es gab nur wenig Angebote, die passten und nur einmal fand ich Radkappen, die nicht nur zu unserem Auto passten, sondern auch noch den Peugeot Löwen im Zentrum eingeprägt hatten. 30 € plus Versandkosten, da kannst du nichts zu sagen. Ich habe sie gekauft.
Später rief ich noch einmal die Anzeige auf und las „leichte Mängel, siehe Foto“. Ich schaute mir das Foto noch einmal an und zoomte das Bild so groß, dass ich den Mangel gut erkennen konnte. Es handelte sich um einen Kratzer. Ich kannte solche Kratzer. Auch unsere Radkappen hatten schon derartige Gebrauchspuren.
Dann, ein ganz kurzer Gedanke nur.
Nein, das konnte nicht sein, nein das wäre ein zu großer Zufall.
Wenn aber doch?
Ich vergrößerte den Schaden auf größte Größe.
„Ulla komm mal bitte her. Sieh dir einmal die Kratzer hier an. Erinnerst du dich noch, als ich dir die Schrammen auf unserer Radkappe gezeigt hatte, vor drei, vier Wochen? Wie  ich noch sagte, dass es doch merkwürdig sei, dass die Kratzer quer zur Laufrichtung des Rades verlaufen und dass das doch eigentlich unlogisch sei?“
„Ja, ich weiß aber eigentlich nur noch, dass wir einen Kratzer an der vorderen Radkappe auf der Beifahrerseite hatten.
Glaubst du etwa, dass das unsere Radkappen sind?
Nein im Ernst? Glaube ich nicht.“
„Ich glaube es langsam schon. Ich habe sie gekauft aber noch nicht bezahlt. Wäre ja´n Ding, wenn wir unsere geklauten Radkappen wiederkaufen würden. Wahrscheinlicher ist doch, dass es sich um einen Zufall handelt mit diesem Schaden.“
Ich rief noch einmal die E-Bay Seite mit den Radkappen auf. Schnäppchenseller war der E-Bay Name meines Verkäufers. Bei Standort stand nur Deutschland. Ich suchte weiter unter seinen Kontakten und Bewertungen. Seine Kunden waren durchweg zufrieden mit ihm. Einer seiner Kontakte hatte den Namen „Hasenfleth“.
Hasenfleth ist doch die kleine Bauernschaft zwischen Oederquart und Oberndorf. Was für ein Zufall, dass sich ein Geschäftspartner von „Schnäppchenseller“ ausgerechnet „Hasenfleth“ nennt. Sie schienen sich ganz gut zu kennen und manch ein Autozubehörteil hatte in der letzten Zeit den Weg von „Schnäppchenseller“ zu „Hasenfleth“ gefunden. Ich fand eine Nachricht, die mit dem Satz endete: „Sehen uns Dienstag in Cad.“ Die beiden schienen sich persönlich zu kennen. Cad? Cadenberge? Die Hadeler Gemeinde Cadenberge?!
„Schnäppchenseller“ kommt aus der Gegend hier!
Dann war es also doch nicht so ausgeschlossen, dass ich meine Radkappen gekauft habe?
Ich wollte meinen Kauf stornieren. Schließlich hatte ich die Radkappen ja schon einmal mit dem Rest des Autos gekauft.
Wer glaubt, dass man einen Kauf einfach so einseitig rückgängig machen kann, irrt. Ich musste lesen, dass bei unbegründetem Rücktritt mein Name auf eine Liste gesetzt wird und ich zur Unperson bei Ebay werde.
Was sollte ich tun??
Ich ging zur Polizei und berichtete von meinem Verdacht. Heinz Hagedorn hörte sich alles geduldig an, machte sich ein paar Notizen.
„Weiß nicht, ob wir damit weiterkommen. Ich gebe das mal an unsere Experten weiter. Vielleicht genügen die Verdachtsmomente, um die Identität von „Schnäppchenseller“ von E-Bay zu bekommen.“
Ich sollte den Kauf nicht rückgängig machen, um nicht unnötig Staub aufzuwirbeln. Erst einmal nur die Zahlung etwas herauszögern.
Dann ging alles ziemlich schnell. Zwei Tage später bekamen wir einen Anruf von der Polizeiwache in Cadenberge. Wir sollten gucken kommen, ob unsere Radkappen sich unter sichergestelltem Diebesgut befinden.
Wir machten uns sofort auf den Weg. Die Polizeiwache sah aus wie das Verkaufslager eines Schrotthändlers. Reifenstapel, Scheinwerfer, Nummernschilder, Kotflügel, Radios und auch Radkappen verschiedenster Autofabrikate türmten sich im Eingang. Wir bahnten uns einen Weg bis an den Tresen. Der Polizist schien schon leicht genervt von dem plötzlichen Autoteilelager in seiner Wache. Wir legten ihm die Kopie der Anzeige vor.
„Hmm, Radkappen liegen kurz vor dem Ausgang. Wenn Sie da mal gucken möchten.“
Glück für uns: „Schnäppchenseller“  hatte nicht nur eine Vorliebe für Dinge, die ihm nicht gehörten. Er hatte allem Anschein nach auch eine praktische Ader. Im Stapel befanden sich vier Radkappen mit dem Löwen im Zentrum, in der passenden Größe und ordentlich mit einem Bändchen zusammengebunden. So brauchten wir uns nicht alle einzeln zusammensuchen.
Wir sollten dann nur noch den Empfang quittieren.
„Die Kollegen haben irgendwoher einen Tipp bekommen, dass mit einem Internethändler etwas faul sei. Hatten wohl etwas von sich im Netz wiedererkannt. Gestern haben wir ihn dann besucht und haben einen ganzen Schuppen mit all diesen Sachen leergeräumt. Er hatte gleich gestanden, dass alle Teile aus Diebstählen hier in der Umgebung stammten.“
Dann setzte er noch hinterher:
„Ja, wenn Kommissar Zufall nicht manchmal helfen würde.“
„Den kenne ich zufällig“, sage ich leise beim Gehen.
„Wie bitte?“
„Nichts. Danke noch mal und Auf Wiedersehen.“




Donnerstag, 7. Dezember 2017

Konrad - Mein Freund



Ich möchte heute von Konrad erzählen. Konrad ist einer meiner Kehdinger Freunde.
Konrad und ich waren nicht immer Freunde.
Nicht, dass wir uns früher nicht leiden konnten. Nein, so war es nicht!
Wir kannten uns einfach noch nicht.
Kennengelernt haben wir uns erst über Martina, Martina Leithemeyer aus Franken. Sie hat Konrad unten am Elbdeich in Freiburg getroffen, sich in ihn verliebt und heimlich ein paar Fotos von ihm gemacht. Martina hielt sich gerade für eine Woche als Gast des Kunstvereines Kehdingen in Freiburg auf. Ihre Aufgabe war es, sich kreativ mit der Tierwelt Kehdingens auseinanderzusetzen. Auf langen Spaziergängen in die Natur ließ sie sich inspirieren.
Und dabei ist es eben passiert - also das mit Konrad!
Liebe auf den ersten Blick, wenn auch durch einen Zaun und einige 30 Meter voneinander getrennt. Am liebsten hätte sie ihn mitgenommen, was aber in ihrer aktuellen Situation überhaupt nicht ging.
Aber einige gute Fotos hatte sie von Konrad, von dem bis heute nicht sicher ist, wie sein wirklicher Name lautet.
Konrad hat ihn Martina genannt.
Einfach so, weil sie der Meinung war, dass er irgendwie aussehen würde, als hieße er Konrad.
Zurück in ihrem Gastatelier hat sie sich die Fotos von Konrad auf den Bildschirm gezogen. Fasziniert von der Ausstrahlung „ihres“ Konrads, beschloss Martina ihm einen Platz in ihrer Ausstellung zu geben.
Warum auch nicht?
Tierwelt Kehdingens, passt doch!

Was ich bislang noch nicht gesagt habe, Konrad ist ein Schaf. Genaugenommen müsste er ein Schafbock sein, dem Namen nach zumindest.
Aber da traue ich Martina nicht ganz.
Künstlerin eben. Nicht die Fakten zählen, allein die Wirkung.
Und, wenn das Schaf auch weiblich ist, aber bei ihr das Gefühl von Konrad auslöst, dann ist es eben ein Konrad.

Und dann war es so weit. Konrad, leicht verfremdet mit Wachs, Speiseöl und schwarzer Schuhcreme, fand einen schönen Platz in der Nähe des Eingangs. Perfekt ausgeleuchtet blickte er den Ausstellungsbesuchern ins Gesicht. Sehr viele Menschen verharrten vor ihm, häufiger  als vor anderen Bildern.

Heute, nachdem ich Konrad so gut kenne, glaube ich zu wissen, was mich und viele andere Menschen an Konrad fasziniert: Er ist ein Schaf mit menschlichen Gesichtszügen!



 
Belustigt? Arrogant? Kokettierend? Genießend? Überheblich? Besserwissend?
Ich weiß es  nicht genau.
Ich weiß  aber noch genau, wie ich vor ihm stand und überlegte, warum er mir gefällt.
Susanne trat hinter mich.
„Gefällt er dir auch?“
„Ja, irgendwie schon. Aber 120 € für ein schwarzes Schaf?“
Ich schmunzle über meinen ungeplanten Wortwitz.
„Mein Kunstbudget ist eigentlich auch schon ausgeschöpft, gefallen tut er mir aber schon sehr. Ich glaube bei 60 € wäre ich weich geworden.“
Wir stehen vor Konrad und blicken in seine zusammengekniffenen Augen. Es ist nicht raus, ob er uns so überhaupt sehen kann.
Eine Idee breitet sich in Windeseile in meinem Kopf aus.
„Sechzig Euro wäre OK?“
„Ja schon. Sie lässt aber bestimmt nicht mit sich handeln.“
„Nein, das glaube ich auch nicht. Was hältst du davon, wenn wir Konrad zusammen kaufen? Jeder 60 €!“
„Und, wie soll das gehen? Soll ich ihn dann immer in Freiburg besuchen kommen? Oder willst du nach Stade kommen?“
„Nein. Konrad zieht einmal im Jahr um. Ein halbes Jahr ist er in Stade und die zweite Jahreshälfte in Freiburg.“
Susanne lacht.
„Das ist ja dann so etwas wie „Kunst Sharing“, ich glaube so etwas gibt es noch nicht.“
„Ja, Kunst Sharing hört sich gut an. Wir machen Kunst Sharing. Konrad wird sich schon an uns beide gewöhnen.“
Noch lachend besiegelten wir unser gemeinsames „Start Up“ mit Handschlag.

Nun gehört Konrad uns. Inzwischen ist er schon einige Male von Stade nach Freiburg und wieder zurück gewandert. Trotz anfänglicher Befürchtungen meinerseits scheint er gut mit dem Leben in zwei Haushalten zurechtzukommen.
Nun, gerade, wie ich hier schreibe, guckt er mir von der Fensterbank aus zu.
Verschmitzt? Verschlagen? Amüsiert? Schnippisch? Überlegen? Weise?
Vielleicht, Konrad, vielleicht fängst du eines Tages an zu reden. Dann werde ich dich fragen, was du damals gedacht hast, als du mir beim Schreiben deiner Geschichte zugeschaut hast.