Donnerstag, 2. Februar 2017

Der Kaschmirschal



Wer mich kennt, weiß dass ich in Sachen Kleidung nicht gerade der Anspruchsvollste bin. Nicht, dass mir völlig egal ist, was ich anziehe. Nur bin ich wohl in der Wahl meiner Kleidung etwas anspruchsloser als die meisten Menschen um mich herum. Das heißt aber noch lange nicht, dass nicht auch ich meine Lieblingsstücke im Kleiderschrank oder am Garderobenhaken habe. Wenn ich also so oft im blau-weiß gestreiften Hemd zu sehen bin, bedeutet das noch lange nicht, dass ich nichts Anderes besitze. Ich mag es einfach am liebsten.
So geht es mir auch mit meinen Schals. Ein halbes Dutzend liegt in der Kommode und doch darf mich meistens nur der eine, der gute, der weiche Schal mit der Kaschmirwolle begleiten.
„Willst du dir den nicht lieber für besondere Anlässe aufheben?“ werde ich gelegentlich mal gefragt, bevor der Schal mit mir das Haus verlässt.
Das will ich natürlich nicht. Nicht ohne Grund fällt meine Wahl meistens gerade auf diesen Schal.

Ich stehe ausgehbereit in der Tür und will zur Jahreshauptversammlung des Yachtclubs. Sie findet im „Deutschen Haus“ statt und alles deutet darauf hin, dass meine Kleidung nach der Versammlung den gleichen Geruch haben wird, wie das „Deutsche Haus“. Da werden nämlich viele Traditionen gepflegt die anderswo längst schon Geschichte sind. So wird der Duft von Fritten und Currywurst oder auch anderen Speisen durch Vermeiden von regelmäßigem Lüften noch lange über den Verzehrzeitpunkt in den Räumen konserviert. Von der Umgehung des Rauchverbotes in Gaststätten ganz zu schweigen.
Das alles wissend habe ich mir schon die Segeljacke angezogen, die dann, nach der Versammlung, im Keller auslüften kann. Bloß nicht den guten Wollmantel mitnehmen. Der nimmt nämlich die Gerüche des „Deutschen Hauses“ noch viel dankbarer an wie die synthetische Segeljacke.

„Willst du wirklich mit der Jacke los?“
„Ja, du weißt doch, wie die Klamotten riechen, wenn man im „Deutschen Haus“ war.“
„Und der gute Schal?“
„Den hänge ich raus, wenn ich zurück bin. Tschüß!“

Angenehme Überraschung im „Deutschen Haus“. Die Versammlung findet auf dem Saal statt, die Garderobe befindet sich auf dem Flur, der durch die Nähe der Ausgangstür erstaunliche neutrale Luft hat. Meine Jacke findet einen Platz auf dem Kleiderbügel. Der Saal ist rauchfrei! Erstaunlich, hätte ich nicht erwartet nach all meinen Vorerfahrungen der letzten Jahrzehnte. Die Versammlung verläuft nach traditionellem Muster, wie ich sie schon kenne unter Leitung des vorherigen Vorsitzenden und dem noch davor. Beschlüsse werden fast immer einstimmig gefasst und nach Entlastung des Vorstandes oder bei Neuaufnahmen gibt es nicht selten eine Runde Schnaps. Tumultartig wird es dann, und auch das nichts Neues, unter dem Punkt „Verschiedenes“. Hier werden Punkte abgearbeitet, die nicht mehr den Weg auf die Tagesordnung gefunden haben, weil deren Fürsprecher nie die Antragsfristen einhalten. Also nicht anders als in den vergangenen Jahren. Nach zwei Stunden verlasse ich das Lokal. Für das nach der Sitzung anstehende gemütliche Beisammensein bin ich zu müde und außerdem habe ich mein Geld zu Hause vergessen.

Ich verlasse das “Deutsche Haus“ gemeinsam mit Gerdi Henken. Frostluft löst fast schon einen Schmerz in der Lunge aus, es trifft ein eiskalter Wind auf meinen Hals.
Ich habe keinen Schal um!
Er muss noch an der Garderobe sein.
Gerdi muss alleine weitergehen. Ich kehre um. Zweimal gehe ich die Bügelreihen durch. Mein Kaschmirschal, der „Gute“, ist weg. Das ist bitter, hätte ich doch bloß einen von den minderwertigen Schals aus der Kommode genommen.
Der Hals wird kalt. Im Auto überlege ich, ob ich denn wirklich den guten Schal umgebunden hatte. Doch, wir hatten ja noch darüber gesprochen, ob es der „Gute“ sein müsse.
Es gibt doch ganz schön schlechte Menschen. Gehen an einer Garderobe vorbei, entdecken, dass der Schal mit der Kaschmirwolle sich so schön anfühlt, und schon wird ein blitzartiger Besitzerwechsel vorgenommen. Nein, woran soll man denn noch glauben? Aus dem  „Deutschen Haus“ kommt man nie ohne dessen haustypisches Aroma heraus aber bislang immer noch mit seinen Anziehsachen.
Oder hatte ich den Schal doch noch zurück gehängt?
Ich mache jetzt immer öfter mal Dinge, die ich später gar nicht mehr genau weiß.
Aber der Schal? Der war doch mit. Oder?

Zu Hause öffne ich die Stubentür und melde mich zurück.
„Wie war´s?“
„Wie immer. Mein Schal ist weg oder hast du ihn hier irgendwo gesehen?“
„Der „Gute“?“
„Ja der.“
„Den hattest du doch um, als du gingst!“
„Ja, das meinte ich eigentlich auch. Aber in der Garderobe im „Deutschen Haus“ habe ich ihn nicht mehr gefunden.“
„Schade. Habe ich dir mal zum Geburtstag geschenkt.“
Ich hänge die Jacke auf und gehe in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Auf dem Weg zur Stube glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Da liegt er, der gute Schal mit der Kaschmirwolle, auf dem Fußboden. Als hätte ihn jemand dahin geworfen. 




Noch nicht ganz in der Stube frage ich schon:
„Wo hast du ihn gefunden?“
 „Wen?“
„Den guten Schal.“
„Wieso? Ich habe nichts gefunden, saß die ganze Zeit hier. Ist er also wieder da?“
„Ja, er lag auf dem Boden im Flur, als ich aus der Küche kam.“

So schlimm ist es also doch noch nicht hier bei uns auf dem Lande.  Mit der Kriminalität meine ich.
Und was war nun mit dem Schal?
In der Garderobe hatte ich ihn jedenfalls nicht vergessen. Sonst wäre er ja nicht hier.

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